B E R I C H T  3 - W e r b u n g  d e r  F l u g s c h ü l e r  f ü r  d i e  S t a s i

Verpflichtung

 

Hiermit verpflichte ich mich, xxxxxxxxx aus eigener politischer Überzeugung und auf vertraulicher Basis mit dem MFS inoffi-ziell zusammenzuarbeiten, bei der Aufklärung und Bekämpfung aller feindlichen Angriffe und Aktivitäten gegen die DDR sowie die befreundeten sozialistischen Staaten.

Ich bin davon überzeugt, dass ich durch meine inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS dazu beitrage, die Erhaltung und die weitere friedliche Entwicklung unser sozialistischen Gesellschaft sowie die Festigung des Bruderbundes der befreun-deten sozialistischen Staaten aktiv zu unterstützen.

Über diese inoffizielle Zusammenarbeit werde ich gegenüber meinen Eltern, Verwandten Bekannten und Freunden, gegen-über der VP, den Organen der Justiz sowie anderen gesellschaftlichen und staatlichen Organen strengstes Stillschweigen bewahren.

Ich wurde darüber belehrt, dass ich bei Bruch dieser Verpflichtung nach den geltenden Gesetzen der DDR zur Verantwor-tung gezogen werden kann. Zur Wahrung der Konspiration und Geheimhaltung meiner inoffiziellen Zusammenarbeit wähle ich mir den Decknamen „Thomas Gäbler“. Meine Information, die ich in schriftlicher und mündlicher Form geben werde, unterzeichne bzw. benenne ich mit diesem Pseudonym.

 

Schwerin, den 10.06.82

Wie kommt ein junger Flieger aus Pinnow dazu, diesen offensichtlich in die Feder diktierten Text zu schreiben und zu unterzeichnen? Es gibt sicher kaum Beispiele, in denen ein Jugendlicher von sich aus zur Stasi gerannt ist, um Berichte über seine Fluglehrer, Kumpels und die Zustände auf dem Flugplatz abzuliefern.

Man(n) wurde also angesprochen. Der Junge hatte kaum eine Chance, sich den Offerten der Stasi zu widersetzen. Gelockt wurde er mit besonderer Kameradschaft bei der Stasi, der angeblichen Wichtigkeit seiner Tätigkeit für den Weltfrieden und die Sicherheit der DDR. Die Stasi appellierte an Verant-wortungsgefühl, Ehr- und Treuebegriff und suggerierte ein Eliteverständnis: „Wir haben Dich ausgewählt.“ Was aus heutiger Sicht also ein bisschen albern klingt, hatte damals aber durchaus Wirkung.

Das Angebot wurde also klar formuliert, allerdings ohne echteWahlmög-lichkeit. Dem Kandidaten wurde im Gegenzug eine privilegierte Zukunft in Aussicht gestellt (Studium, Reisen), allerdings war klar, dass eine Ablehnung ebenfalls Konsequenzen hätte - nur eben weniger schöne.

Nicht zuletzt half der kollektive Dienst- und Kampfzustand, in dem sich die DDR permanent befand, da ja niemand für das Leben, sondern für den Sozialismus zu lernen, zu arbeiten oder zu kämpfen hatte. Nach dem Motto: „Wir tun was für Dich (Segelflugausbildung, Schule …), nun tu auch was für uns“, bedurfte es schon enormer Widerstandskraft, diese Forderungen auszuschlagen. Hinzu kam, dass die Jugendlichen die Konsequenzen einer Ablehnung nicht übersehen konnten. Spätestens hier ist die Frage nach Opfer und Täter in diesem System (wenn man sie stellt) nicht mehr so leicht zu beantworten… .

Aber zurück zur Datenlage, die da zeigt: auch bei der Auswahl der Jugendlichen wurde nichts dem Zufall überlassen. Das MfS wollte über alles, was sich in Pinnow bewegte, Bescheid wissen. Also: wen von den Jugendlichen wirbt man? Und wie? Dazu benötigten die Stasimitarbeiter ein klares „Anforderungsbild“, welches speziell für Pinnow erarbeitet wurde. Welchem Bild der zukünftige „Tschekist“ entsprechen sollte, geht aus dem folgenden Dokument hervor:

 

Kreisdienststelle Schwerin Schwerin, den 13.04.82

Ref. XX

Anforderungsbild eines IM für den Schwerpunktbereich Segelflugsport der GST auf dem Segelflugplatz Pinnow

 

Zur besseren op. Durchdringung und Lagebeherrschung im Sicherungsbereich GST-Segelflugsport der Stadt Schwerin auf dem Flugplatz Pinnow, ist es erforderlich, geeignete Jugendliche für die inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS zu ge-winnen. Der geplante Einsatz des zu gewinnenden IMS konzentriert sich auf die Lösung op. Detailaufgaben auf dem Segel-flugplatz Pinnow sowie auf die Aufklärung und op. Kontrolle des Ausbildungspersonals und der Flugschüler.

Daraus leiten sich für den IM-Kanditaten u.a. folgende subjektive und objektive Anforderungen ab:

 

1. Der Kandidat männlichen oder weiblichen Geschlechts sollte 16 – 18 Jahre sein und sich in der flugtheoretischen bzw.   flugpraktischen Ausbildung befinden.

 

2. Der Kandidat muss über die notwendige Selbstsicherheit (…) verfügen sowie einen guten Umgang zu den Jugendlichen vom Flugplatz haben.

 

3. Er muss in der Lage sein, auf unkomplizierten Wege, auch neue Kontakte zu op. Interessierenden Personen, die sich auf dem Flugplatz befinden, herzustellen und auszubauen,

 

4. Es müssen günstige Möglichkeiten für eine stabile sowie effektive Zusammenarbeit vorhanden sein, die einen gezielten Einsatz als IMS gewährleisten, wie z.B. - keine strenge Kontrolle durch das Elternhaus

                                                                     - stabile Leistungen in der Ausbildung als Flugschüler sowie in der Schule (…)

 

5. Der Kandidat muss in der Lage sein, aufgrund seiner Persönlichkeit sowie seiner Leistungs- und Verhaltenseigenschaften einen zielgerichteten Einfluss auf die Fluglehrer und Flugschüler ausüben zu können. Dabei sind u.a. solche Fähigkeiten zu entwickeln und auszubauen, wie zum Beispiel Verschwiegenheit, Disziplin, konstruktives Denken und Bewerten.

 

6. Es müssen bei ihm erste Fähigkeiten zum Erkennen und richtigen Bewerten politischer Situationen, op. interessanter Vorkommnisse und Erscheinungen vorhanden sein, wie z.B.

- Beobachtungsgabe für bestimmte Vorkommnisse;

- Vermögen zum selbständigen Handeln und ein klares Freund-Feindbild.                                                                                            Dies setzt voraus, dass der Kandidat die dortigen Regimeverhältnisse ausreichend kennt, um sich den notwendigen Han-dlungsspielraum zu verschaffen.

 

7. Er muss eine positive Einstellung zur Notwendigkeit für eine Zusammenarbeit mit dem MfS besitzen.

 

8. Der Kandidat muss in der Lage sein, die op. Zielvorstellungen des IM-Einsatzes zu verstehen und op. Zusammenhänge aufgaben bezogen zu erkennen.

 

Bestätigt: (Kürzel), 16.4.82 Sachbearbeiter: Rehberg

 

Das MfS hatte offensichtlich nicht die geringsten Skrupel, Jugendliche für Spitzeltätigkeiten jeder Art zu missbrauchen. Die Auswahl eines Kandidaten erfolgte, eine umfangreiche Beurteilung des Jungfliegers wurde erstellt und im April 1982 endet ein Bericht der Kreisdienststelle Schwerin, Ref. XX mit dem Satz:

 

(…) auf dem Segelflugplatz Pinnow erscheint die Person xxxxxxxxxxx als IM-Kandidat entsprechend dem vorliegenden Anforderungsbild als geeignet. (…)

Ich schlage vor, xxx als IM-Kandidat aufzuklären (zu werben – R.L.)

 

Einverstanden: Sachbearbeiter

i.V. (Kürzel) Ltn.

Ref. Leiter,Ref XX

 

Plan der Aufklärung muss erarbeitet werden. 12.04.82

 

Der Plan zur „Aufklärung“ wurde auch prompt erstellt. In sauberer Handschrift wurde folgender Plan verfasst und vom Refe-ratsleiter Abt. XX abgesegnet:

 

KD Schwerin Schwerin, 26.4.1982

Konzeption zum Kontaktgespräch: (Ort – R.L.) GST-Kreisvorstand Schwerin-Stadt

Datum: 27.4.1982, 15:30

 

Der Kandidat wurde vom GST-KV Schwerin-Stadt bestellt. Entsprechend seiner Funktion erhielt der GMS „Hans Schmidt“ den Auftrag, den IM-Kandidaten zur Klärung disziplinarischer Maßnahmen zu bestellen.

 

Zielstellung:

 

Die Zielstellung des Kontaktgesprächs besteht in der weiteren Aufklärung der subjektiven Fähigkeiten und objektiven Möglichkeiten des Kandidaten für eine Werbung und einen Einsatz als inoff. Mitarbeiter des MfS entspr. des Anforderungsbildes.

 

Schwerpunkte des Gesprächs:

 

- (…) (Hier wurden allgemeine Fragen zum Flugplatz Pinnow gestellt; Ordnung, Sicherheit usw. – R.L.) Weiterhin:

- Herausstellen des besonderen Sicherheitsinteresses des MfS für den Flugplatz Pinnow

- Erlangung der Bereitschaft und Zustimmung für weitere konspirative Begegnungen mit dem IM-Kandidaten

- Gespräch dient dazu, um zwischen MA und IM-Kandidat eine vertrauensvolle, kameradschaftliche Atmosphäre für eine  kommende Zusammenarbeit zu schaffen.

- Herausarbeitung von Persönlichkeitsmerkmalen zum Kandidaten und zu seinen Eltern

- Herausarbeitung von verwandtschaftlichen Bindungen 1. u. 2. Grades im nichtsozialistischen Ausland

- Herausarbeitung seiner Bereitschaft bzw. Motivation für die Übernahme erster konkreter Aufgaben

- Erläuterung einiger grundlegender Aufgaben zur Staatssicherheit

- Gewährleistung der Geheimhaltung des Kontaktgespräches, indem der Kandidat auf moralische Pflichten hingewiesen wird

- Gewährleistung der Geheimhaltung durch Abnahme einer Schweigverpflichtung.

- Übernahme konkreter Aufgaben auf dem Flugplatz Pinnow für das MfS (Bericht über Ordnung und Sicherheit bei der Flugpraktischen Ausbildung (…) und erneutes Kontaktgespräch am 7,5,1982 um 15:00 Uhr in der Kontakt-IMK „Kurt Müller“.

 

Einverstanden: Sachbearbeiter

Ref. Leiter XX

Major

 

Am 10.06.1982 unterschrieb der IM-Kandidat die oben stehende Verpflichtung und sagte damit „Ja“ zum lebenslangen Pakt mit dem MfS. Kündigungsklauseln oder Laufzeiten waren im Vertrag nicht vorgesehen.

In den Akten folgen nun einige „Treffberichte“, in denen der Inhalt der Gespräche mit „Thomas Gäbler“ dokumentiert wird. Manchmal erfolgen die Zusammenkünfte aller zwei Wochen, in der Regel in konspirativen Wohnungen des MfS in Schwerin.

Themen der Befragungen waren z.B.: Auskünfte zu bestimmten Personen auf dem Flugplatz, Alkoholmissbrauch, Verstöße gegen Anordnungen, Verraten von Dienstgeheimnissen usw. Oder folgendes:

 

„(…) Bei seiner weiteren Berichterstattung ging der IMS auf die Person xxxxx ein. Dieser äußerte sich dahingehend, während seines 18. Lebensjahres die DDR ungesetzlich verlassen zu wollen.“

 

Was eine solche Aussage gegenüber dem MfS für den Lebensweg des Bespitzelten bedeutet hatte, lässt sich aus heutiger Sicht gut einschätzen. Das kleinste Übel wird das Aus für die Segelfliegerei gewesen sein, das weitaus größere und folgen-reichere waren aber die von nun an genauere Beobachtung und Überwachung, eingeschränkte Studienmöglichkeiten, Ein-schnitte bei jeglicher beruflichen Entfaltung und Reiseverbote selbst für das sozialistische Ausland.

Der neue IM indes bekommt nun ständig neue Aufgaben, die er bis zum nächsten Treff abzuarbeiten hat. Er wird aufgefor-dert zur erneuten:

 

„(…) Berichterstattung zu den Personen xxxx, xxxx, xxxx, xxxx und xxxx. Dabei soll der IMS versuchen mit ihnen ins Gespräch zu kommen, bei Arbeiten an der Technik, zwanglose Unterhaltung, Herausarbeitung von NSW-Verwandtschaft, bei xxxxx Einstellung und Haltung zum „Punk“.“

 

Abschließend hier ein handschriftlicher Bericht des „Thomas Gäbler“

 

IMS Thomas Gäbler Schwerin, den 7.6.83

Bericht:

In einem Gespräch mit xxxxxxxxx erzählte mir dieser, dass er Verwandte 2. Grades im NSW hat. Dabei soll es sich um die Schwester seiner Mutter handeln.

Der Vater des xxx war xxxxxxxxxxx. Da zum damaligen Zeitpunkt die verwandtschaftlichen Beziehungen noch bestanden, gab er seinen Dienst bei der NVA auf.

Xxx brachte zum Ausdruck, dass von Seiten seiner Eltern sämtliche Beziehungen und Kontakte seit längerem abgebrochen sind. Aus diesem Grunde erachtet er es auch nicht für notwendig, diese Verwandten aus dem NSW auf irgend welchen Fragebögen erscheinen zu lassen.

Thomas Gäbler

 

Handschriftliche Bemerkungen seiner Führungsoffiziere am Ende des Berichts:

 

Auftrag: Inoff. Kontrolle des xxxx auf dem FP Pinnow

Einleitung von weitergehende Sicherheitsüberprüfungen zu den Großeltern, mit dem Ziel der Feststellung, ob über diese der aktive Kontakt ins NSW gehalten wird.

Weitere Akten zu diesen Vorgängen liegen uns nicht vor. Mit größter Wahrscheinlichkeit wurden sie alle nach der Mauer-öffnung in der Heizanlage der Kaserne in Stern-Buchholz verbrannt.