B E R I C H T  4 - Ü b e r w a c h u n g  d e r  F l u g p l ä t z e  i n  M V  d u r c h  I m s

Seit dem Mauerbau 1961 kam es immer wieder zu spektakulären Grenzdurchbrüchen. Mit allem, was fahren, tauchen oder schwimmen konnte, wurde mit wechselndem Erfolg versucht, die Grenze in Richtung Westen zu überwinden. Da liegt es nah, dass auch Flugzeuge zur Flucht verwendet wurden, was auch gelegentlich geschah.

Im Unterschied zu Fluchten auf dem Lande oder zu Wasser war eine Flucht mit einem Flugzeug spektakulär und wurde in den Westmedien mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Um diese „Grenzdurchbrüche“ zu verhindern, war es daher aus Sicht des MfS unerlässlich, nicht nur sporadische Kontrollen bei den Fliegern durchzuführen, sondern ein lückenloses Kontrollsystem für die Flugplätze zu schaffen.

In einem vom stellvertr. Stasi-Minister Generalmajor Mittig eingeforderten „Bericht zum Stand der Aufklärung - (Kontrolle – R.L.) der Teilnehmer am Motorflug, Segelflug und Fallschirmsprung der GST“, der von der MfS-Bezirksverwaltung Schwerin am 24. Juli 1979 vorgelegt wurde – wird ein eher mangelhaftes Bild der „Aufklärung“ gezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht möglich, eine lückenlose Überwachung der 402 Flugsportler der GST im Bezirk Schwerin durch die Staatssicherheit zu gewährleisten.

Im Punkt 3 des oben genannten Berichts mit der Überschrift: „Umfang und Qualität der inoffiziellen Basis im Bereich der GST“ wird es konkret. Dort heißt es:

Der Bereich der GST ist im Bezirk Schwerin mit insgesamt mit 36 IM/ GMS inoffiziell abgesichert. Davon können zur direkten Absicherung der Flug- und Sprungkader 19 IM/GMS eingesetzt werden.

Einen Schwerpunkt der inoffiziellen Durchdringung stellt das Bezirksausbildungszentrum (BZA) für fliegerische Ausbildung in Neustadt-Glewe dar. Durch den verantwortlichen Genossen der Abteilung XX/3 werden unter den hauptamtlich tätigen Personen im BAZ 9 IM/GMS geführt, die sich wie folgt aufgliedern:

 

Motorfluglehrer 3IM 1 GMS

Motorflugtechniker 2 IM

Leitung BZA 1 IM 1 GMS

Fallschirmsport 1 IM

 

Mit diesen inoffiziellen Potenzen werden die Flugsportler während der Lehrgänge und Flugausbildung im BZA unter operativer Kontrolle gehalten.

 

Von den 19 einsetzbaren IM/GMS waren also neun in Neustadt-Glewe tätig. Die Konzentration von IMs auf diesem Flugplatz ergab sich aus der Tatsache, dass im „Bezirksausbildungszentrum“, welches in erster Linie der vormilitärischen Ausbildung diente, 16 Motorflugzeuge und sechs Segler stationiert waren. Die Möglichkeit einer spektakulären „Flucht“ war dort stärker gegeben und machte deshalb aus Sicht des MfS eine besondere Kontrolle notwendig:

Die übrigen 10 IM werden sich auf die übrigen drei Flugplätze Güstrow, Parchim und Pinnow verteilt haben. In welchem Verhältnis ist leider nicht vermerkt.

Eine Schlussfolgerung im oben genannten Bericht lautet:

 

(…) Alle Kader, die sich im Segel- und Motorflug betätigen bzw. künftighin betätigen wollen, werden im Sicherungsvorgang erfasst und unter ständiger operativer Personenkontrolle gehalten.

 

Zu allen Flugkadern der GST wird ein operativ auskunftsfähiges Material erarbeitet bzw. vorhandenes Material aktualisiert, um eine konkrete Aussage über die politische Zuverlässigkeit und kadermäßige Eignung des Flugkaders treffen zu können. In den Mittelpunkt der operativen Überprüfungen werden vorhandene verwandtschaftliche bzw. bekanntschaftliche Verbindungen des Flugkaders bzw. seiner Verwandten ins NSW (Nichtsozialistische Ausland R.L.) , seine politische Zuverlässigkeit sowie sein Verhalten im Arbeits- und Freizeitbereich gestellt.

 

Ein weiteres Ergebnis des Berichts war, dass vorerst von den 402 Flugsportlern im Bezirk Schwerin nur diejenigen eine Flug-genehmigung erhielten, die vom MfS überprüft und für zuverlässig befunden wurden. Das waren nur 74 Flugsportler..

Es ging dann aber recht zügig voran: Für unseren Pinnow-Flugplatz hieß es 1980 in einer MfS-Meldung (XX/3) aus Berlin:

 

(…) . Seitens unserer Diensteinheit bestehen keine Einwände gegen eine Aufnahme des Flugbetriebs auf dem Segelflugplatz der GST Schwerin-Pinnow am 20.09.1980 (…)

Durch die zuständige Diensteinheit wurde abgesichert, dass ausschließlich durch das MfS nochmals bestätigte Kader zum Flugeinsatz kommen:

 

Dr. Schwarz/ Dchroeder.

Bv Schwerin, abt. XX

 

Spätestens ab diesem Zeitpunkt kann man von einer lückenlosen Überwachung der Flieger im Bezirk Schwerin – also auch in Pinnow – ausgehen. Auch um diese Kontrolle durchzusetzen und zu perfektionieren, wurde im März 1981 auf unserem Flugplatz ein hauptamtlicher Flugplatzleiter inthronisiert. Zu diesem Zeitpunkt zwar noch kein IM, versorgte er dennoch das MfS bei konspirativen Treffen mit Informationen über die Zustände auf dem Flugplatz und zu einzelnen Personen.

Obwohl die Berichterstattung des Flugplatzleiters an das MfS gut funktionierte, wurde er als IM geworben. Für diese „Notwendigkeit“ wurde folgende Begründung formuliert:

 

Zur Beherrschung der politisch-operativen Lage unter dem Ausbildungspersonal der Sektion Segelflugsport des GST-Kreisvorstandes sowie zur operativen Durchdringung der in dieser Sektion integrierten und auszubildenden Jugendlichen ist es notwendig, einen geeigneten Segelfluglehrer als IMS in Schlüsselposition zu werben.

(…)

Der Kandidat verfügt über die hauptsächlichsten objektiven Möglichkeiten und subjektiven Faktoren zur Gewährleistung einer effektiven IM-Arbeit. So ist er zurückhaltend und intelligent, besitzt umfangreiche Kontakte und Verbindungen zu den Mitgliedern der Sektion Segelflugsport des Bezirksausbildungszentrums (…) und ist in der Lage, zielstrebig neue Kontakte herzustellen.

Daraus resultiert die Möglichkeit, (…) ihn zur Aufklärung op. Interessierender Personen im Bereich des GST-Flugplatzes Pinnow einzusetzen. Die Zweckmäßigkeit der Werbung lässt sich weiterhin damit begründen, dass (…) aufgrund seiner Funktion unter den Jugendlichen (…) ein gutes Ansehen genießt. (…)

Der geplante Einsatz des Kandidaten als IMS in Schlüsselposition (…) gliedert sich schwerpunktmäßig wie folgt auf:

 

1. Informationserarbeitung zu Personen und Sachverhalten im op. Klärungsprozeß „Wer ist Wer?“ Schwerpunkte sind dabei die Aufdeckung und Aufklärung negativer Verhaltensweisen, Pläne, Absichten, Verbindungen und Aktivitäten von Personen bzw. Personengruppen unter den GST-Sportlern.

 

2. Das rechtzeitige Herausarbeiten von inoffiziellen Hinweisen zu operativ interessanten Personen bzw. Personengruppen

 

3. Einflussnahme auf ein den gesellschaftlichen Normen entsprechendes Verhalten der jugendlichen Flugschüler und Fluglehrer auf dem Flugplatz Pinnow

 

(…)

 

4. Realisierung von Teilmaßnahmen zu Sicherheitsüberprüfungen.

 

 

Am 29. Juli 1981 unterzeichnete der hauptamtliche Flugplatzleiter freiwillig die Verpflichtungserklärung zur inoffiziellen Mitarbeit mit dem MfS. Zur Einhaltung der Konspiration wählte er den Decknamen „Martin Anders“

Er verpflichtete sich u.a.: „Bei Bekanntwerden von Hinweisen u. Vorkommnissen in dem genannten Rahmen sowie zu den Personen werde ich sofort und selbständig den mir bekannten Mitarbeiter des MfS informieren“.

Eine Einschätzung des IMS „Martin Anders“ erfolgte durch die Kreisdienststelle Schwerin (MfS) am 18.7.1988. Darin heißt es:

 

Der IMS ist als hauptamtlicher Leiter des Bezirksflugplatzes Pinnow (Segelflug) tätig. Er ist Mitglied der SED.

Sein bisheriges Einsatzgebiet als IM des MfS war die operative Durchdringung von GST-Ausbildern und Segelflugschülern des Bezirkssegelflugplatzes Pinnow.

Im Folgenden wird sein Klassenstandpunkt gelobt und sein Schwänzen der monatlichen konspirativen Treffs mit dem Füh-rungsoffizier getadelt. Weiter heißt es:

 

In der inoffiziellen Arbeit selbst leistet der IMS eine gute Aufklärungsarbeit zu Kadern, die auf dem Flugplatz tätig sind. (…)

 

Der IM ist nicht in der Lage, zielgerichtet Kontakte zu negativ eingestellten Personen aufzubauen, da er auf Grund seiner Funktion und seines progressiven Auftretens als Genosse bekannt ist. Trotzdem kam er an der Bearbeitung der OPK „Flieger“ des Gen. Frank, KD Schwerin, mehrjährig zum Einsatz

 

(Über diesen Einsatz ist uns nichts bekannt – R.L.)

 

Des weitern liefert er die Zuarbeit zu anderen operativen Materialien. (…)

Der IMS kann als ehrlich und hilfsbereit eingeschätzt werden. Hinweise einer Dekonspiration wurden nicht erkannt.

 

(Kürzel)

Hauptmann

 

Zusammenfassend kann aufgrund der vorliegenden Dokumente gesagt werden, dass der Segelflugplatz Pinnow spätestens seit Anfang der 80er Jahre durch das MfS vollständig überwacht, kontrolliert und gesteuert wurde. Alle auf dem Flugplatz tätigen Segelflieger wurden von verschiedenen Dienststellen durchleuchtet, auf ihre „Zuverlässigkeit“ im Sinne des MfS überprüft und durch das MfS bestätigt – oder abgelehnt. Einspruchsmöglichkeiten von betroffenen Personen gegen diese Entscheidungen gab es nicht.

Aufgrund der IM-Berichte aus dem Flugschüler- und Fluglehrerbereich in Pinnow gelangten alle Informationen zu den Dienststellen des MfS, die daraufhin auf die fliegerische Tätigkeit der Personen einwirken konnten. Doch erst durch die Installation eines IM in Schlüsselposition (Flugplatzleiter) wurde eine direkte Einflussnahme auf den Flugplatz Pinnow möglich. Der Flugplatzleiter war bis zur Auflösung der DDR im Amt.